____DAS HAUS DER REGIERUNG
von Christiane Büchner D 2002 110'
Die russisch sprechende
Filmemacherin Christiane Büchner hat von 1997 an vier
Jahre lang einen Film über das Moskauer HAUS DER REGIERUNG,
ein 1931 fertiggestelltes Riesenwohnprojekt, gedreht. Das
Haus erklärt sich über die Bewohnerinnen, die im
emphatischen Gespräch mit der Filmemacherin ihre Geschichte
mit und in dem Haus erzählen. Das sind keine talking
heads, die mit Kommentaren in den Dienst einer Meinung gestellt
werden. Oral History - ein mit den Quoten-Erfolgen der Redaktion
Zeitgeschichte im ZDF weitgehend korrumpiertes Genre, in dem
Revisionismus mit der Funktionalisierung von Zeitzeugen zu
Stichwortgebern und Meinungs-Beweismitteln einhergeht, - ist
hier in einer Form als lebendige Geschichte, als Erzählung
von Familienmythologien und als Artikulation der Vergangenheit
von Tätern, Nutznießern und Opfern in einem totalitären
System, zu Zeiten des Großen Terrors, gelungen. Die
Filmemacherin hat 1990 mit dem Künstler Christian Boltanski
an dem berliner Projekt "The Missing House" gearbeitet,
und ihre Arbeit an diesem Film läßt sich als Fortschreibung
einer Auseinandersetzung mit Erinnerung und Archiven lesen.
Büchner ist präsent in den intimen Gesprächen,
die sie allein mit einer DV-Kamera meist vom Stativ und einem
externen Mikro gedreht hat. Es gibt keine Strategie zur Unsichtbarmachung,
ihre Haltung ist im Gespräch spürbar.
Inzwischen trägt
Russland als Flaggenemblem den zaristischen Adler, dazu singt
man die unter Präsident Putin wiedereingeführte
alte sowjetische Hymne mit neuem Text.
Auch der Komponist der Hymne wohnte in dem HAUS DER REGIERUNG,
eine Wohnmaschine in Sichtweite zum Kreml, gebaut nach Plänen
des Architekten Boris Iofan, der während der Blütezeit
der russischen Avantgarde in Italien lebte und erst Ende der
zwanziger Jahre zurückkam nach Russland. 500 Wohnungen,
25 bewachte Eingänge und Aufzüge. Eine Kantine,
Geschäfte, ein Frisiersalon, ein Materiallager für
die Leihmöbel, die alle numeriert waren - inklusive der
Schreibtische, nach dem Vorbild von Lenins Schreibtisch gebaut
-, ein Theater, ein Kino, Zentralheizung, und viel Platz für
die BewohnerInnen- sonst war es eher üblich, daß
eine Familie pro Zimmer wohnte, hier bekam eine einzige Familie
ein fünf-Zimmer-Wohnung. Ein Haus des "sozialistischen
Lebens, es sollte alles geben", wie eine Bewohnerin sagt.
Aber das war nicht nur die Großzügigkeit des Systems
gegenüber seinen verdienten GenossInnen. Stalins Kalkül
bestand darin, die Elite dort zu versammeln, um sie zu kontrollieren,
verhaften, verbannen, umzubringen.
Hätten sie sich
nur einmal entschuldigt, sagt Tatjana Smilga, die 17 Jahre
in Haft und Verbannung war. Ihr Vater, Held des Bürgerkriegs
wurde als "Linksabweichler" verfolgt und 1938 erschossen.
Die Architektinnen Wera und Nadeshda Kolpskowa, 1909 geboren,
absolvierten während des Studiums ein Praktikum auf der
Baustelle des Hauses. Sie zeigen der Filmemacherin ein großes
Schwarzweißbild von Iofans Plan für den Palast
der Sowjets, mit dramatisch leuchtendem Himmel, wie ein siebenfach
hochgestapeltes Treptower Ehrenmal in den Himmel ragend, gekrönt
vom siegreichen Lenin. Die alte Dame guckt hinter dem Bild
hervor und sagt lakonisch: "Es ist doch gut, dass wir
ihn nicht gebaut haben."
Inzwischen haben sich
die "neuen Russen" eingemietet, sie leisten sich
wieder Wachpersonal wie zu Stalins Zeiten, und auf dem Dach
des Hauses dreht sich - nach der Adidaswerbung - nun der Mercedes-Stern.
DAS HAUS DER REGIERUNG
von Christiane Büchner D 2002 110' russisch mit deutschen
Untertiteln.
WDR 9. April 2003 23.15h-1.10h
Madeleine Bernstorff
|