Madeleine Bernstorff______________

 

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____Rat mal, mit wem ich tanzen gehe!
über Todd Haynes FAR FROM HEAVEN
aus: Experimente in Hollywood. Stephen Soderbergh und seine Filme.
Hg. Frank Arnold Bender Verlag 2003

Eine großzügige Kranfahrt durch die Indian-Summer-Bäume führt uns mitten hinein in die herbstlaubgolden strahlende Welt von Suburbia/Connecticut. Die Musik stellt die Verbindung zu den fünfziger Jahren her. Alles was der Himmel erlaubt und alles, was ich begehre, die Nachahmung von Leben und die wunderbarsten Obsessionen, doch auch so fern vom Himmel, dem Himmel, in dem die Gefühle nicht mehr von der bösen, verbitternden Welt beeinträchtigt würden - die Behauptung des großen Übergesellschaftlichen der Gefühle.
Auch Todd Haynes findet sich in der 70er Jahre-Tradition der linken Interpretation von Sirk als "Freund von Brecht", dem entschleiernden Kritiker, der in seinen Filmen die vergeblichen Lüste des Bürgertums auf die Falsches-Leben-Spitze getrieben hatte. Haynes hat noch einmal über Sirk nachgedacht, über kunstvollste Unauthentisierung, über das, was in den Interior-Design-Gesinnungsgemeinschaften als mögliches Skandalon vor sich hin schwelt. Insofern ist in diesem Remake die Repression und die Politur über der Repression gleich mitgedacht.
Wie in dem hierzulande leider fast völlig unsichtbar gebliebenen SAFE (1995), einem Psycho-Öko-Horrorstück, durch das die wohltuend hysterisch-fragile Juliane Moore leitet, können wir hier wieder dieser begnadeten Schauspielerin folgen, die allerdings im Laufe dieses Films immer breiter wird, zu einem "beperlten, behandschuhten, aufgepolsterten" (Jim Hoberman) Petticoat-Schiff der Vorstadt, eine komplementäre Gegenfigur auch zur animierten magersüchtigen Barbiepuppe Karen Carpenter in SUPERSTAR: THE KAREN CARPENTER STORY, mit dem Todd Haynes seinen Ruf als präziser Erzähler umkämpfter Körper begründete - ein Film der nicht öffentlich gezeigt werden darf.
In FAR FROM HEAVEN entpuppt sich ihr Gatte als schwul, die angestrengten Exorzierungsversuche beim Psychiater scheitern. Sie selbst übertritt schon bei der ersten Begegnung mit dem schwarzen Gärtner die unsichtbaren Grenzen, indem sie diesem emphatisch an den Oberarm faßt. Sich selbst findet sie so hinreißend liberal und brüstet sich vor ihm mit ihrer Mitgliedschaft in der NAACP, der National Association for the Advancement of Colored People, um sich zu profilieren, im eigenen Haus aber schiebt sie lieber ihr schwarzes Dienstmädchen vor. Wenn die ganze Kleinstadt die weiße Frau und den schwarzen Mann miteinander beobachtet, dann hat das etwas von einer sozial kontrollierenden Chorus Line kurz vor dem Lostanzen.
Der Lippenstift, den die Freundin der Gattin trägt, heißt Cherries in the Snow und ist von Revlon, und die Zeit, in welcher der Film spielt, soll der Herbst 1957 sein, als in Little Rock in Arkansas neun schwarze SchülerInnen durch ein Spalier von wütendem weißen Mob eine vormals Weißen vorbehaltene Schule betraten, und dort ihre bitteren Erfahrungen machten.

Man möchte, daß Frieda Grafe etwas über den Film sagt, die in den Sirk'schen Melodramen Technicolor in Exstase sah, und man möchte, dass James Baldwin den Film sieht und sein The Devil finds Work -Buch weiter schreibt.

Madeleine Bernstorff