___Là-Bas / Dort
unten
(Frauen und Film 65)
Die belgische Filmemacherin
Chantal Akerman war eingeladen an der Universität von
Tel Aviv zu unterrichten und hat den Film "Là-bas"
gedreht, obwohl sie nie in Israel filmen wollte: "Ich
hatte das Gefühl, dass das keine gute Idee, ja sogar
eine unmögliche Idee sei - fast lähmend und geradezu
abstoßend. (...) Ich hatte Angst mir die Finger zu verbrennen
und den Verstand, Angst vor den Klippen meiner Subjektivität,
die mir bei diesem Thema gefährlich und konfus vorkam.
Es gibt keine Neutralität, die könnte nur vorgetäuscht
sein. (...) Wenn ich also von Dingen sprechen will, die mir
nahe sind, zu nahe, mache ich einen Umweg. Der Umweg erschüttert
mich zwar auch, aber es ist dennoch nicht der direkte Weg.
Bei dem Thema war die Verbindung zu direkt." (Interview
mit Franck Nouchi, Paris, Januar 2006)
Chantal Akerman ist in
ihren Filmen immer schon obsessiv und meisterhaft mit Innenräumen
beschäftigt: in "Saute ma Ville" (1968) stellt
sie eine kleine Küche auf den Kopf, sprengt sich schließlich
selbst und vielleicht auch die Stadt in die Luft und singt
doch danach weiter. In "Hotel Monterey" (1972) durchmisst
sie mit ihrer Kamerafrau Babette Mangolte in axialen Bewegungen
ein Emigrantenhotel in New York und gibt der Kameramaschine
dokumentarisches Futter. In "Je, tu, il, elle" (1975)
räumt die junge Chantal Akerman ein Zimmer leer und bleibt
dort mit ihrer Einsamkeit, einer Matratze und dem Puderzucker,
den sie sich einverleibt. Und in "L'homme à la
Valise" (1983) verteidigt sie mit absurder und verzweifelter
Verve ihre Wohnung und ihren Arbeitsrhythmus gegen einen arglosen,
aber sehr unwillkommenen Mitbewohner: ein intimer Territorialkrieg.
Das neueste Zimmer für
sich allein fand sie in Tel Aviv.
Dort war eines Tages trotz ihrer Bedenken ein erstes Bild
da, gefilmt aus dem Fenster ihrer Gastwohnung durch die Bambusrollos
hindurch: Ein altes Paar auf einer Dachterrasse: Sie sitzt,
er stellt einen Spiegel für sie auf, und läuft mit
breitbeiniger Geschäftigkeit herum, räumt hin und
her, während sie sich schminkt, vielleicht. Die Rollos
mit den feinen Lamellen bilden einen Filter vor der Aussenwelt,
sie dämpfen das Licht, lasieren die südlichen Farben,
und bewegen das, was im Bild dahinter und jenseits liegt,
bei jedem Windhauch mit. Grenzen verwischen sich, es ist ein
ganz und gar bildlicher Vorgang.
Die Schichtungen des
Innen und Aussen, die durch die zarten Rollos bewusster werden,
die abgetönten Farben, Früchte in einer Schale im
Zimmer, die Klimaanlagen an den kubischen Bauten. Rauschen,
großer Himmel, ein Hupen, orientalische Musik, ein Flugzeug.
Gleißendes Licht in den schmalen Durchblicken. Es ist
die Bauhausstadt Tel Aviv.
Oder könnte es irgendeine
Stadt sein am Meer? Der Film bietet und fordert den Raum und
die Zeit nachzudenken. Es wird nicht gegengeschnitten auf
einen mächtig-ohnmächtigen Beobachter, wir, die
ZuschauerInnen sind der Gegenschnitt. Gelegentlich hören
wir Chantal Akermans weiche, tiefe Stimme aus dem Off, wie
sie einsilbig freundlich auf Telefonanrufe antwortet, wie
sie Verabredungen absagt, weil sie nicht abgelenkt werden
möchte. Sie kann kaum hinausgehen und das hat nicht nur
etwas mit dem Attentat zu tun, das ganz in der Nähe der
Wohnung stattfand. Ihre eigene Mutter, eine Shoah-Überlebende,
konnte in Brüssel nicht auf die Straße gehen. Aber
wenn das alles so viele Schichten hat, was ist dann mit diesem
freundlichen Alltag, fragen die Bilder des Films? "Man
muß Israel ins Gesicht schauen," sagt sie sich
da drinnen, als ob sie den Belagerungszustand des Landes noch
mal nachspielen müßte. Und erzählt vom Gespräch
bei der Einreise:"Ich könne mich entscheiden"
sagte die Grenzbeamtin, ob ich den Israelstempel im Pass haben
will. "Als wenn es ein mutiger Akt sei." Auch wenn
um die Ecke ein Attentat stattgefunden hat, Chantal Akerman
weiß sowieso nicht, wie man lebt, "ob mit Israel
oder ohne Israel." Sie spricht von ihrer Tante Ruth,
die in einem Konvent den Krieg überlebt hatte, und von
der Mutter von Amos Oz - aus dem autobiografischen Roman Eine
Geschichte von Liebe und Finsternis' - , die sich beide fast
zur selben Zeit umbrachten. Und langsam braucht Akerman die
Vorräte in der Gast-Wohnung auf.
Der kristallklare Ton
erzählt mehr vom Außen der Stadt als die wenigen
Bilder am Meer, wenn die Kamera die Wohnung verlässt.
Die Filmemacherin hat sich immer mit dem Bilderverbot herumgeschlagen:
"Das Kino ist gefährlich mit seinem Emblematismus
in dieser binären Welt, und dann kommt mein Widerspruchsgeist,
aber auch der macht ja diese Unterteilungen. Oft gucke ich
geradeaus. En face, das führt weniger zur Idolatrie in
dieser idolatrischen Welt," schreibt sie im Katalog zu
ihrer großen Retrospektive im Centre Pompidou 2004.
Ganz zum Schluss gibt
es plötzlich Zeitrafferbilder vom Himmel, explosive Bewegungen
der Kamera, sie sucht den Himmel nach Flugzeugen ab und die
Nacht nach Lichtern, Reißschwenks, bis alles wieder
zur Stille kommt und ein ruhiger Mann aus der Universität
sie besucht, der weiß, dass es schwer ist aus dem Gefängnis
herauszugehen, besonders aus dem eigenen Gefängnis. Aber
man kommt heraus. "Er kennt das Exil, das Gefängnis.
Innen, Aussen. Ich glaube, er kennt es. (...) Ich höre
die Töne der Stadt. Ich bin in Tel Aviv."
madeleine bernstorff
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