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Alle Tage wieder – let them swing!
Zur Aktualität der Filme von Margaret Raspé

Meine erste Begegnung mit Margaret Raspé fand Mitte der 1980-Jahre statt, als ich sie einlud in der Filmreihe Gegen Gewalt gegen Frauen ihre Super8-Filme zu zeigen, in dem großen Saal im Sputnik-Kino im Wedding, zu einer Zeit, als die Trennung von Kino und Kunst immer noch sehr mächtig war. Ich wollte mit der gesamten Filmreihe den Gewaltbegriff aus seiner viktimisierenden Konnotation befreien! Ein eindrucksvoller Abend – Margaret Raspé’s strahlende Bilder von Hausarbeit bigger than life auf der riesengroßen Leinwand.

In Frauen und Film Heft Nummer 10 war 1976 ein Artikel von Helke Sander erschienen mit vielen Zitaten von Margaret Raspé zu den Filmen mit dem Kamerahelm, einige der Filme waren beim Internationalen Forum des Jungen Films gezeigt worden. Mit der legendären Erfindung des Kamerahelms - einem einfachem Bauhelm, an dem mit zwei Schienen die kleine Agfa-Microflex-Super 8 Kamera vor dem Auge befestigt ist, einem Fernauslöser sowie zwei um die Taille gegürteten Bändern, die diesen Helm stabilisieren - erforschte Margaret Raspé wie sich das Kamera-Auge mit der physisch-psychischen Erfahrung von Alltagsprozessen verbindet.

„Eine wirklich direkt subjektive, an den Körper gebundene Kamera, die auch alle Bewegungen des Auges und damit des Kopfes einbezieht. – Hand- und Kopfarbeit. ...
Schweineschnitzel war der erste Film, den ich mit dem Kamerahelm gemacht habe, nachdem ich lange über Aggression in der Küche nachgedacht hatte. Es gab eine Schwierigkeit: ich wollte gern, dass der Film kontinuierlich ohne Schnitt durchläuft, konnte aber keinen Selbstauslöser finden, der eine ganze Kassette durchzieht. So musste ich mich mit einem Selbstauslöser begnügen, der nur 30 Sekunden läuft. Er musste immer wieder herausgenommen, aufgezogen und wieder angesteckt werden. Deshalb musste ich die Arbeit in kleine Sequenzen auflösen und nachdenken, was ich in 30 Sekunden tun könnte.“ (Margaret Raspé)

Raspés künstlerischer Ansatz ist vielfältig: von performativen Filmarbeiten, zu denen auch die sehr besonderen Filme mit dem Kamerahelm gehören, über die künstlerische Dokumentation eines synkretistischen Feuertanzrituals bis zu Landart/Landschaftskunst und ortsbezogenen Video-Raumskulpturen. Ihre künstlerische Orientierung läßt sich als eine eigenwillige, alltagsnahe und material-affine Interpretation der Aktions- und Fluxuskunst der 1960er Jahre beschreiben, speist sich auch aus langjähriger Erfahrung mit Körperarbeit und vor allem aber aus der feministischen Kritik, die über die Inblicknahme gesellschaftlich unsichtbarer (Haus-)Arbeit neue naheliegende Bereiche auflädt: Ergebnis ist ein körperlich gewordener Blick - der mit der 'subjektiven Zentralperspektive' eher am Prozesshaften interessiert ist als an der Warenform traditioneller Kunstwerke.

1978 schrieb die Hamburger Filmemacherin Monika Treut in ihrer Examensarbeit über Margaret Raspé’s Kamerahelmfilme: Lebendige Bilder. Zu den Möglichkeiten und Grenzen weiblicher Film- und Videoproduktion: “Indem die alltäglichen Materialien der Hausfrauenarbeit aus der Perspektive des Kamerahelms gefilmt erscheinen, beginnen sie auch in ihrer wahrgenommenen Bedeutung zu pulsieren. Der viereckige Bildausschnitt evoziert ästhetische Mehrdeutigkeiten und Überdeterminationen, die das Gefilmte zu etwas anderem machen als zu einem bloßen Abbild eines alltäglichen Arbeitsvorgangs. Das scheinbar allzu Vertraute blickt uns plötzlich als etwas Ungewohntes von der Leinwand entgegen und zieht das betrachtende Auge in einen eigenen Rhythmus, den man als Fluss empfindet, weil er das Vorige nie über das Neue vergisst.“

Mehrere Kamerahelm-Filme befinden sich in der Sammlung der London Filmmakers' Coop (jetzt LUX). Ihre Arbeiten wurden 1973 von Vlado Kristl zur Hamburger Filmschau eingeladen, 1976 in den Anthology Film Archives in New York gezeigt sowie in der film as film-Ausstellung in der Hayward Gallery in London 1979. Margaret Raspé war Mitglied der Berliner Filmemacher-Cooperative und Mitorganisatorin der NGBK-Ausstellung Unbeachtete Produktionsformen (1982), für die sie eine Medienküche baute.

Die Aktualität
Von heute aus gesehen wirken Raspé’s Filme überzeugend in ihrer unmittelbaren Materialität, zu der die spezifische Farbigkeit des Super 8 Films sowie der besondere Aufnahmeprozess mit dem Kamerahelm maßgeblich beiträgt - in ihrer konzeptuellen Klarheit und in ihrem handlungsbetonten, performativen Gestus. Auch mit dem filmtheoretischen Shift zu Fragen der taktilen Filmwahrnehmung, der affektiven Corporeality von Filmbildern aktualisieren sich Margaret Raspé’s Filme auf einleuchtende Weise. Die prozesshafte Lust an der vehementen Inszenierung alltäglicher Haushalts- und Nahrungs-Zubereitungsvorgänge sowie der künstlerischen Arbeit Malerei erzeugt zudem ein sehr zeitgemäßes Bewusstsein für Hand- und Kopfarbeit.


Alle Tage wieder - let them swing,1974
Detail aus Filmstill: Margaret Raspé

Eine weiße Porzellantasse in Form eines Frauenkörpers mit hervorstehendem Busen und der Aufschrift ‚let them swing’ - die Brüste bewegen sich mit der Trinkbewegung mit - eine der vielen Darstellerinnen in Margaret Raspé’s ’Abwaschfilm’ Alle Tage wieder – let them swing! (1974), hat unserer Filmreihe den Titel gegeben.
Text: Madeleine Bernstorff

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Margaret Raspé mit Kamerahelm, ca. 1974
Foto Heiner Ranke

Margaret Raspé mit Kamerahelm, ca. 1974
Foto Heiner Ranke


Schweineschnitzel, 1971
Kaderausbelichtung: Gunter Deller


Backe, backe Kuchen, 1972
Foto: Margaret Raspé


Der Sadist schlägt das eindeutig Unschuldige,
1971
Foto: Margaret Raspé


Weibliche Rituale,1976
Fotos: Margaret Raspé